Käthe Kollwitz, Selbstbildnis, 1912 © Landesmuseum Mainz, Foto: Ursula Rudischer.

Käthe Kollwitz: Vorreiterin der “Guerilla Girls“?

Als Grafikerin und Bildhauerin setzte Käthe Kollwitz in einer von Männern dominierten Kunstwelt ihre eigenen Maßstäbe für ein Verständnis von moderner Kunst (*2). Wir widmen uns hier ihrem grafischen Werk. 

Die Künstlerin durchläuft zeit ihres Lebens eine steile Karriere. Schon im Alter von 13 Jahren beginnt Kollwitz geb. Schmidt mit ihrer künstlerischen Ausbildung in ihrer Heimat Königsberg. Dort erhält sie Malunterricht bei Gustav Naujok und lernt das Kupferstechen bei Rudolf Mauer. 

Mit 18 Jahren geht sie an die Damenakademie des Vereins der Berliner Künstlerinnen und studiert anschließend ein Jahr in München bei Ludwig Herterich. Nach ihrem Studium kehrt sie zunächst nach Königsberg zurück, ehe sie sich 1891 mit ihrem Verlobten dazu entschließt, ihren Wohnsitz nach Berlin zu verlegen. Kollwitz ist zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt. Der Umzug in die preußische Metropole scheint zunächst durch ihre guten Kontakte zu Max Liebermann in Berlin und Max Lehrs in Dresden vielversprechend. Berlin ist im Vergleich zur konservativ geprägten Kunstszene in München von der Idee eines progressiven Kunsterschaffens geprägt. Die Gründung der avantgardistischen Künstlergruppe „Vereinigung der XI“ sowie die erste Ausstellung des norwegischen Malers Edvard Munchs (1863-1944), die im Jahre 1892 mit 55 Gemälden im Verein Berliner Künstler eröffnet wird, sind wichtige Schritte, diese neue Kunstauffassung zu etablieren. Munchs moderne Ästhetik und Themenauswahl lassen sich jedoch nicht mit dem Geschmack des damaligen Publikums vereinbaren. 

Edward Munch: Vision, 1892 / Vision, Zeichnung für Illustration, 1892-1893 © Munchmuseet
Edward Munch: Vision, 1892 / Vision, Zeichnung für Illustration, 1892-1893 © Munchmuseet

Die innerhalb einer Woche wieder geschlossene Ausstellung Munchs und der kurz darauffolgende staatliche Protest gegen das Werk von Gerhart Hauptmann „Die Weber“ (1893) verdeutlichen diese konservative Haltung der Öffentlichkeit gegenüber politisch-gesellschaftlich kritischen Themen in Berlin um die Jahrhundertwende (*3) . Das damalige Bild der Großstadt erscheint dabei wie die zwei Seiten einer Medaille, die einerseits geprägt ist von der glanzvollen Welt der oberen Prominenz und andererseits von der Armut der breiten Gesellschaft. Hauptmanns kritischer Umgang mit der Geschichte des schlesischen Weberaufstandes im Jahre 1844 ist daher mehr als provokant. In ihren eigenen Kommentaren zu ihrem Besuch der Uraufführung (26.02.1893) äußert sich Kollwitz enthusiastisch über Hauptmanns Naturalismus. Die bereits gereiften Ideen (*4) zum Thema der sozialen Ungerechtigkeit finden ab jetzt ihren Ausdruck im druckgrafischen Zyklus „Ein Weberaufstand“ (1893-1897). Darin arbeitet sie die Rolle der Frau als Hauptprotagonistin stärker heraus und schlägt den Bogen von den dramatischen Lebensumständen der Weberfamilien bis zur Rolle der Frau und Mutter. 1903 schreibt Max Lehr, dass es sich bei Kollwitz‘ Darstellungen keineswegs um Illustrationen zu Hauptmanns Werk handele, sondern um eine freie Umsetzung der „kongenialen Künstlerphantasie.“ (*5) Gleichzeitig ist die Kunstwelt überrascht, dass eine Frau hinter diesem außergewöhnlichen und technisch hochwertigen Werk steht. 

Käthe Kollwitz, Ende, 1897, Blatt 6 aus der Folge „Ein Weberaufstand“ © Landesmuseum Mainz, Foto: Ursula Rudischer
Käthe Kollwitz, Ende, 1897, Blatt 6 aus der Folge „Ein Weberaufstand“ © Landesmuseum Mainz, Foto: Ursula Rudischer

Der Zyklus „Ein Weberaufstand“ stellt einen Durchbruch in Kollwitz´ Karriere dar, der zugleich mit viel Anerkennung und Kritik verbunden ist. Das verdeutlicht u.a. auch die Tatsache, dass Kaiser Wilhelm II. es ablehnt, dass der Künstlerin, wie eigentlich vorgesehen, die kleine Goldmedaille der Großen Berliner Kunstausstellung 1899 verliehen wird. Kollwitz lässt sich jedoch nicht beirren und ihr Interesse an sozialkritischen Themen bleibt beständig. Eine weitere Serie mit gesellschaftskritischem Hintergrund entsteht zwischen 1901 und 1907 und beinhaltet sieben Radierungen zum Thema „Bauernkrieg“. Kollwitz´ Entscheidung, ein historisches Sujet aus ferner Vergangenheit zu wählen (Bauernkriege, 1524–1526), wird durch die Veröffentlichung der „Geschichte des großen deutschen Bauernkriegs“ von Wilhelm Zimmermann (1841) beeinflusst (*6). Fast programmatisch erscheint ihre Figur auf dem fünften Blatt unter dem Titel „Losbruch“. Die Künstlerin zeigt zentral im Bildvordergrund eine Frau in Rückenansicht, die vor einer nach links stürmenden Menschenmenge steht. Mit ihren erhobenen Händen scheint die sog. „Schwarze Anna“, den Auftakt zum Angriff auf den unsichtbaren Feind zu geben. 

Käthe Kollwitz: Losbruch, 1903, Blatt 5 aus der Folge „Bauernkrieg“ © Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
Käthe Kollwitz: Losbruch, 1903, Blatt 5 aus der Folge „Bauernkrieg“ © Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)

Armut, Krankheit und Tod treten seit 1903 in Verbindung mit Motiven aus dem Familienleben immer häufiger in den druckgrafischen Werken von Käthe Kollwitz auf. Ähnlich wie Edvard Munch teilt sie die intimen Augenblicke privater Tragödien oder Existenzängste mit ihren Betrachtern. Damit wendet sie sich den sog. „unschönen Themen“ zu. Mit ihrer Kunst eckt sie an, gerade weil sie eine Frau ist. Den Beginn der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Tod markiert die eigene Erfahrung: der Verlust ihres Sohnes im Ersten Weltkrieg (22.10.1914).  

Die Trauerarbeit und der Entwurf des Denkmals für ihren verstorbenen Sohn Peter beschäftigen sie während der Kriegszeit. In ihren Tagebüchern äußert sie sich kritisch gegenüber der Frage der Opferbringung im Krieg (*7). Die durch Richard Dehmel (*8) 1918 formulierte Aufforderung, auch in der letzten Kriegsphase das Land zu verteidigen, verneint sie. Im Gegensatz zu den früheren Jahren, in denen sie noch nicht so stark gegen den Krieg opponiert hat, sagt sie jetzt: „Keiner darf mehr fallen!“.

Leseempfehlung: Ein zweiter Artikel in diesem Blog widmet sich dem zivilen Leben während des Ersten Weltkriegs und gibt einen Einblick in den Alltag, den Käthe Kollwitz erlebte. 

Nach dem Kriegsende wird Käthe Kollwitz zum ordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Künste als Professorin berufen. In der Weimarer Republik erhält sie mehrere staatliche Aufträge und engagiert sich politisch. 

Käthe Kollwitz, Gedenkblatt für Karl Liebknecht, 1920 © Käthe Kollwitz Museum Köln
Käthe Kollwitz, Gedenkblatt für Karl Liebknecht, 1920 © Käthe Kollwitz Museum Köln (https://www.kollwitz.de/gedenkblatt-fuer-karl-liebknecht)

Der Stil ihrer grafischen Arbeiten verändert sich. Der Einsatz des fein nuancierten Hell-Dunkel-Kolorits wird durch ein kontrastreiches Hell-Dunkel ersetzt. Bedingt ist dies vor allem durch Kollwitz´ Beschäftigung mit der Holzschnitttechnik, in der sie ihren sehr prägnanten Stil entwickelt. Zwischen 1919/1920 entsteht das Gedenkblatt für den ermordeten Karl Liebknecht (1871-1919) in einer äußerst plakativ wirkenden Formensprache. Flächen in weiß und schwarz stehen sich konträr gegenüber. Die Figuren sind stark vereinfacht und klar konturiert. Ein visuelles Raster aus horizontalen, vertikalen und diagonalen Linien bildet die Grundform, worin sich die Figuren beginnen aufzulösen. In den schwierigen Nachkriegsjahren werden von Kollwitz viele grafische Werke  erschaffen, die diesen Stil repräsentieren. Sie unterstützt finanziell Künstler aus der Arbeiterklasse mit dem Erlös aus ihren Arbeiten. Der Holzstock zum Karl-Liebknecht-Gedenkblatt wurde zugunsten der Organisation der Arbeiter-Ausstellung 1920 freigegeben (*9). 

Käthe Kollwitz ist stets am Puls ihrer Zeit. Bis heute bleibt sie eine starke Identifikationsfigur für nachfolgende Generationen von Künstlerinnen. 

Quellenangaben: 

 (*1 – Titel) Frei paraphrasiert in Anlehnung an die feministische Künstlergruppe „Guerrilla Girls“ (gegründet in 1985): https://www.guerrillagirls.com/ 

(*2)  Chatwick, Whitney: Women, Art and Society, London 1990, S. 272.

(*3)  Lash, Scott: Bürgerliche Identität und Moderne: Paris – Wien – Berlin, in: Soziale Welt, H. 4 (1989), S. 457.

(*4)  Rückblick aus dem Tagebuch, in: Käthe Kollwitz 1867–1945, Radierungen, Lithographien und Holzschnitte, Die Sammlung im Staatlichen Museum Schwerin, Hrsg. BerswordtWallrabe, Schwerin 1997, S.36.

(*5)  Lehr, Max: Käthe Kollwitz, in: Die graphischen Künste, 26 (1903), S. 55.

(*6) Käthe Kollwitz, Druckgraphiken aus eigenem Bestand, Hrsg. Landesmuseum Mainz, Mainz 1996, S. 170.

(*7) Schulte, Regina / Pamela Selwyn: Käthe Kollwitz’s Sacrifice, in: History Workshop Journal, Nr. 41 (1996), S. 193-221.

(*8) Nagel, Otto: Käthe Kollwitz, Dresden 1971, S. 37.

(*9) Nagel, Otto: Käthe Kollwitz, Dresden 1971, S. 40.

Text: Agnes Cibura