Frauen sind ein beliebtes und zeitloses Thema in der Kunst. Diese zwei Büsten, die zur gleichen Zeit für das Museum erworben wurden, sind Porträts von Frauen, d.h. von bestimmten Individuen. Doch zwischen ihnen liegen Welten. Wobei: Eigentlich sind es nur 60 Jahre – 60 Jahre, in denen sich aber vieles elementar verändert hat, sowohl in der Kunst als auch in Politik und Gesellschaft. Eine Rokkoko-Dame und die Büste einer Frau, zwei Generationen nach ihr entstanden – sind die Unterschiede größer oder die Gemeinsamkeiten?
Sehen Sie selbst.

Als erstes springt ins Auge, dass die Büste des 18. Jahrhunderts nicht nur durch die souveräne Schnitzkunst überrascht, sondern auch durch die glanzvolle Farbigkeit. Diese farbliche Fassung ermöglicht einen gewissen Naturalismus: die Stoffe der Gewänder, das Haar der Perücke und das stark geschminkte Gesicht sind in Farben wiedergegeben, die denen entsprechen, die an einer Dame in Galakleidung um 1770 tatsächlich zu sehen waren.

Ganz anders das Bildnis von 1830! Auf Farbe wird nicht einfach nur verzichtet, sondern die Nicht-Farbigkeit ist Teil des ästhetischen Programms dieser Kunst. Die fast reinweiße Oberfläche des Marmors erscheint uns nicht als Defizit sondern ist in sich völlig stimmig und überzeugend.
Die Fassung der Holzbüste sollte aber nicht als später Ausdruck barocker Freude an Buntheit gedeutet werden. Sie ist durch das Material bedingt, denn eine Holzskulptur wird damals grundsätzlich „gefasst“. Den Materialcharakter eines Holzes mit Maserung und vielleicht Astlöchern für sich sprechen zu lassen, galt für einen Bildhauer des 18. Jahrhunderts kaum als Option. Die natürliche Schönheit der verschiedenen Hölzer zur Geltung zu bringen war die Aufgabe der Möbelschreiner. Mit der Farbigkeit hingegen konnte die Holzskulptur sogar in Konkurrenz zu gemalten Porträts treten und in diesem Fall überbieten, weil unsere geschnitzte Büste quasi beide Künste miteinander vereint.

Um 1770 war der europäische Klassizismus bereits auf seinem Siegeszug. Eine erneute „Renaissance“ der Antike begeisterte fortschrittlich denkende Künstler und Kunstfreunde. Johann Joachim Winckelmann hatte die Schönheit der blendend weißen, griechischen Marmorstatuen hymnisch gefeiert.

In der wahrscheinlich im antiken Rom entstandenen Statue des „Apoll vom Belvedere“, die heute in den Vatikanische Museen zu finden ist, sah Winckelmann ein noch älteres, griechisches Original und den nie wieder erreichten Gipfel der bildenden Kunst. Obwohl in der Folge die Altertumsforscher sich sehr wohl mit der ursprünglichen Farbigkeit griechischer Tempel oder römischer Bildwerke beschäftigten, traten Bildhauerei und Architektur gegen Ende des 18. Jahrhunderts in eine neue Phase der verhaltenen Farbigkeit ein. Die gefasste Holzskulptur wurde ganz aufgegeben und erst von handwerklicher Seite her im Historismus wiederaufgenommen bis sie in der Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts noch einmal auflebte.

Gerade die Skulptur hatte andererseits schon im Barock auf die Wirkung der „Marmorfarbe“ gesetzt. War weißer Marmor aus Italien nicht zu beschaffen oder zu teuer, wurden, wie in Mainz, z.B. Hausmadonnen und Brunnenfiguren aus Sandstein gehauen und dann mit einem weißen Überzug versehen. Schön zu sehen ist das an der Fassade von St. Ignaz in Mainz, die nach dem Originalbefund außensaniert wurde. Seit 2015 erstrahlen dank neuer Fassung die weißen Figuren vor der sandsteinroten Fassade.

Joseph Franz Scholl stammte aus einer Bildhauersippe, hatte in Paris und 1829/30 im römischen Atelier von Bertel Thorvaldsen die aktuelle Bildhauerei auf höchstem, europäischem Niveau kennen gelernt und verfügte über alle Techniken der Steinbearbeitung. Eduard von Heuss hat 1834 nicht nur den europaweit berühmten Bildhauer Thorvaldsen dargestellt, er verweist mit der Darstellung seiner Werke auch auf die erneute Auseinandersetzung mit der Kunst der Antike.
Er hätte diesem Bildnis einer uns unbekannten Frau etwa durch Polieren und die verschiedensten Arten der Oberflächenbearbeitung eine vielfältige, differenzierende Textur verleihen können, aber auf all dies verzichtet er. Er setzt das Schlageisen rechtwinklig zur Oberfläche des Steins an. Auf diese Weise wird das Material „geprellt“, die Kristalle des Marmors nicht mehr einzeln wahrgenommen, und dies erzeugt die homogene, samtartige Oberfläche der Skulptur. Selbst auf das Einritzen der Pupillen verzichtet der Künstler.
Die Frisur der Frau passt vielleicht zur Schlichtheit des Biedermeiers, aber ebenso erinnert sie an altrömische Haartrachten.
Es gibt keinen Schmuck; ihr einfaches Chemisenkleid ohne Korsage ist für die Zeit um 1830 geradezu antimodisch, es ist zeitlos.
Joseph Scholl hat auf diese Weise eine Studie über die Einfachheit verfasst. Das ist wahrscheinlich eine Referenz vor der Kunst der klassischen Antike, aber vielleicht auch ein sich und uns Voraugenführen des Potenzials von Reduktion.
Text: Gernot Frankhäuser