Anno Domini 1252 (MCCLII) wurde ich, Margarethe, Gräfin von Ahr, geborene von Geldern, zur Herrin der Burg auf dem Godesberg. Ich werde euch ein wenig aus meinem leben erzählen. Da wir zu meinen Lebzeiten Wörter benutzt haben, die ihr heute nicht mehr unbedingt kennt, findet ihr am Ende vom Text ein Glossar. Schaut nach, falls ihr ein Wort nicht kennt!
Die Burg befindet sich seit langer Zeit im Besitz des Erzbischofs von Köln. Dem ehrwürdigen Dietrich von Hengebach ist im Dank zu bekennen, dass er den ersten Stein für die Burg vor vielen Jahren legen ließ, weil es anscheinend davor, um den Godesberg herum, lediglich mehrere Gehöfte es gegeben hat, sonst wenig Anderes.
Aber erst der Bruder meines Gatten, der Erzbischof Konrad, ließ hier einen ganz hohen Turm errichten. Da mein propinquus sehr viel Zeit auf langen Reisen verbringt und nicht selbst nach den Rechten hier schauen kann, kümmere ich mich um seine Belange und verwalte die Burg, seitdem mein maritus, zum unseren Herren gegangen ist. Gott hab´ ihn selig.
Mein Vater Otto, der ganz achtenswerte Ritter, folgte als Graf von Geldern dem großen Imperator Friederich, auf den Kreuzzug, bei dem der Friedrich im Fluss verunglückte. Mein Vater kehrte zum Glück nach Hause zurück und erzählte viele spannenden Geschichten aus fernen Ländern. Er brachte mir als Geschenk diese wunderbare Heiligenfibel, die sich ganz schicklich macht, wenn man sie einfach auf einen Wollmantel ansteckt.
Sie zeigt zwei Antlitze von Paulus und Petrus, den apostoli Domini. Obwohl die Fibel zierlich und wie eine Scheibe gearbeitet ist, besteht sie aus kostbarem Metall, das nach längerer Zeit grünlich anläuft, dass man glauben mag, es wäre eine echte Farbe! Die Fibel ist allemal mit viel Geschick gemacht, denn wenn man sieht, wie sich die Gesichter der Heiligen von den beiden glänzenden nimbi im Bilde abheben und wie echte Antlitze wirken, da kann man sagen, dass hier ein wahrer artifex am Werk war. So ähnlich wie diese sah meine Fibel vor vielen Jahren aus.
Mal sah ich in einer Kölner Kirche ein ganzes cruzifixus mit diesem bunten Glas geschmückt.
Meine schöne, alte Fibel trage ich nicht jeden Tag, sondern nur an Festtagen oder zu besonderen Anlässen. Für den täglichen Zweck dienen mir die einfachere Fibel, die wie ein großer Ring ausschaut, und eine längere Ziernadel, mit der ich das Obergewand zusammenraffen kann.
Die Nadel hat noch kleine Anhänger als Zier, die aus echtem argentum bestehen. Aber selbst die ganzen Nadeln und Fibeln würden mir nicht helfen, wenn ich umfangreichere Gewände tragen muss. Dafür gibt es spezielle Gewandhaken, die ganz feste auch die schweren Stoffe zusammenhalten können.
Diese hier habe ich mal auf einem Markt in Sancta Colonia selbst ausgesucht, denn das bunte Glas, was die Haken schmückt, gefiel mir so gut. Wenn ich mich recht erinnere, gibt es in unserer Familie seit jeher noch ein älteres Geschenk, aber ich weiß nicht mehr genau, wer wem den Kamm mitbrachte.
Damit wird auch heute noch mein Haar gepflegt. Der Kamm ist aus Bein und wie ein triangulus gearbeitet. Auf seiner Vorderseite schmücken den Knochen geritzte, zarte Muster. Wie Perlenschnüre rahmen sie das Griffstück ein. Außerdem gibt es zarte Kreise, die wohl Edelsteine nachahmen sollen. Auf jeden Fall dient der Kamm vorzüglich seinem Zweck, da ich dickes Haar habe, das eilig verknotet. Leider kann ich die Freude an diesen schönen Sachen, weder mit meinem Gatten noch meinen Söhnen teilen, denn wenn sie auch bei mir wären, ist das gänzlich eine Frauensache.
Bevor ich hier nach Godesburg gezogen bin, erinnere ich mich, wie mein Ehemann in jungen Jahren immer wieder von Zuhause in die Schlacht gezogen ist.
Damals, auf unserer Burg Are im Rheinlande, blieb die ganze Last der Verantwortung auf meinen Schultern liegen. Auch wenn ich des Lesens und Schreibens kundig bin und der Burgvogt mir zur Seite stand, war das für eine Frau nicht leicht. Doch mit Gottes Hilfe lernte ich alles und versehe bis heute meine Aufgaben gut.
Einmal kam mein Mann nicht mehr zurück. Trost fand ich damals im Gebet. Die schönste und kostbarste Bibel, die ich bis heute noch besitze, ist auf Pergament geschrieben, mit echtem Purpur und anderen bunten Pigmenten großzügig geschmückt.
Da sie so kostbar ist und mir so viel bedeutet, liegt sie in einer schönen Schatulle, die mit einer Schließe gesichert ist. Den kleinen Schlüssel bewahre ich immer, nah an meinem Körper, in einer Burse.
Glossar:
Anno Domini: christliche Zeitrechnung
propinquus: Verwandter
maritus: Ehemann
Imperator: Kaiser
apostoli Domini: die 12 Apostel
nimbus: Heiligenschein
artifex: Kunsthandwerker
crucifixus: Kreuz
argentum: Silber
Sancta Colonia: der mittelalterliche Name für Köln
triangulus: Dreieck
Burgvogt: der organisatorische Leiter der Burg
Pergament: zarte Haut vom Kalb, von der Ziege oder vom Schaf, auf der man schreiben kann
Text: Agnes Cibura
Alle Fotos: GDKE RLP, LMM, Ursula Rudsicher
Foto Nr. 5: frühmittelalterliche Scheibenfibel von Maschen, gemeinfrei