Der Ritter

Willekomen! Ich bin Konrad und ich werde Ritter. Um Ritter zu werden braucht es Mut, Tugend und Ehre.

Ich verließ meine Eltern, als ich ein kleiner Junge war und diene seitdem am Hof eines Fürsten, erst als Page und nun als Knappe.

Zuhause auf der Burg meines Vaters war das Leben eng, ohne Glanz. Wir lebten kaum besser als die Bauern, deren Abgaben mein Vater für den Grafen einsammelte. Aber nun diene ich am Hof des Fürsten. Als ich noch Page war, bediente ich die Frauen und Herren zu Tisch. Alle Adligen verhalten sich hier so, wie es sich gehört, nämlich wahrhaft höfisch. In der Rede achten alle auf Höflichkeit, bei Tisch essen alle mit Manieren. Keiner isst seinem Tischnachbarn die Schüssel leer, keiner schnäuzt in das Tischtuch, sondern benutzt fein seinen Ärmel. Und wenn es doch einer von uns Pagen wagt, sich daneben zu benehmen und den Braten mit den Fingern, statt mit dem Fleischspieß zu reichen, erteilt uns der Herr einen Tadel mit ein paar kräftigen Schlägen.

Nach den Essen spielen die Herren mit den Damen an den langen Winterabenden oft Mühle oder Schach. Unsere Lehrer haben uns auch die Regeln beigebracht und ich spiele es oft. Wusstest Du, dass Schach nicht den Krieg darstellt, sondern den Hof des Königs? Und so heißen die Figuren: König und Königin, Bischof und Ritter.

Dichtung erhellt ebenfalls die langen Abende. Wir hören hier viele Geschichten über edle Recken, Helden und die Minne. So über einen Ritter, welcher „der arme Heinrich“ genannt wird. Dieser Heinrich ist krank, hat die Lepra. Bei dieser Krankheit werden die Glieder der Menschen schwarz und fallen ab. Nur ein Mädchen kann den armen Heinrich retten – wenn sie für ihn sterben will. Er findet so ein edles Mädchen unter den Bauern, und sie will aus Liebe zu ihm sterben. Doch das möchte er nicht! Er will lieber selbst grausam sterben, als den Tod des schönen Mädchens mitanzusehen. Am Ende erkennt Gott Heinrichs Güte und rettet ihn. Heinrich und das Mädchen heiraten.

Ob ich auch einmal so ein gütiges Mädchen finden werde? Ob ich auch so edel sein werde wie Heinrich?

Ich möchte später eine Braut aus einer vornehmen Familie. Oder könnte auch ein Bauernmädchen einen guten Charakter haben und mir eine treue Gefährtin sein?

Seit dem Sommer darf ich die Dienste eines Knappen verrichten. Jetzt kümmere ich mich um einen echten Ritter. Mein Ritter bringt mir alles bei, was ich wissen muss. Ganz wichtig ist das Reiten, denn ein Ritter kämpft im Sattel. Außerdem lerne ich Bogenschießen und Jagen, Schwimmen und Fechten. Lesen und Schreiben übe ich nur selten, das ist etwas für Priester und Frauen. Hier sieht man Wolfram von Eschenbach, der edlen Ritter und Dichter, mit seinem Knappen.

Fechten darf ich, aber nur mit einem Holzschwert, nicht mit einem richtigen Schwert. Weil ich nur Knappe bin, soll ich noch kein Schwert haben. Aber ich habe schon einen echten Dolch.

Ich bin immer bei meinem Herrn. Ich helfe ihm zum Beispiel, die Ritterrüstung anzuziehen. Das ist gar nicht so einfach. Erst kommt eine gefütterte Jacke aus Wolle, dann schnalle ich das eiserne Beinzeug am Gürtel fest, ein Kettenhemd wird übergestreift. Dann muss ich mich um Brust- und Rückenpanzer, den Plattenpanzer an den Armen und die Handschuhe aus Eisen kümmern. Der Halskragen bedeckt Hals und Nacken, der Kopf wird durch einen Helm mit Visier geschützt. Zum Schluss reiche ich meinem Herrn noch Schwert und Schild mit seinem Wappen. Wenn ich ihm all die schweren Einzelteile gereicht und festgenestelt habe, ist geraume Zeit verstrichen und ich bewundere die Stärke meines Herrn. Die Rüstung ist 50 Pfund schwer.

Leider darf ich nicht mit meinem Herrn in den Krieg ziehen. Dann nimmt er nur die älteren Knappen mit. Ich als Edelknappe soll nicht in Gefahr geraten. Hoffentlich ändert er bald seine Meinung. Einer dieser älteren Knappen ist nicht ritterbürtig. Er wird sowieso nie ein Ritter. Der andere ist schon alt genug, um den Ritterschlag zu erhalten. Aber er hat keine reichen Eltern, und so muss er warten. Denn die Festlichkeiten für den Ritterschlag sind teuer! Viele Eltern von Knappen warten, bis sich die Gelegenheit ergibt, dass ein Graf oder der König ihrem Sohn bei einem Turnier das Schwert umgürten und die Sporen anlegen lässt.

Ich werde sicher der beste aller Ritter, größer als Guillaume le Maréchal.

Wenn ich erst groß bin…

Glossar:

Der arme Heinrich: mittelalterliche Verserzählung von Hartmann von Aue, entstand kurz vor 1200

höfisch: Die richtige Verhaltensweise am Hofe eines Königs nennt man „höfisch“. Von diesem Wort stammen unsere Wörter „höflich“ und „hübsch“ ab.

Minne: Minne ist ein altes mittelhochdeutsches Wort für Liebe, die Minnedichtung besingt die Liebe zwischen Mann und Frau in einer für das Mittelalter neuen Weise.

Knappe: Schildknappe, ursprünglich der Diener eines Ritters, der den Schild tragen musste. Junge Adlige dienten im Alter von 14 bis 21 Jahren oft als Knappe, um die Fähigkeiten der Ritter zu erlernen.

Page: Diener am Hof eines Adligen; Adlige schickten ihre Kinder (7 bis 14 Jahren) an den Hof eines Fürsten, damit sie die höfischen Verhaltensweisen erlernen.

Pfund: Die alte, ursprünglich römische Gewichtseinheit entspricht meist ungefähr 500g.

ritterbürtig: Nur wer nachweisen konnte, dass seine Vorfahren Ritter waren, hatte das Recht, selbst Ritter zu werden. Alle anderen waren praktisch ausgeschlossen. Am Ende des Mittelalters wurde der Rittertitel erblich.

Ritterschlag: Mit diesem feierlichen Ritual wurde ein Mann von einem Herrscher oder einem anderen Adeligen in den Ritterstand erhoben.

Schach: Schach stammt aus Indien und kam durch die Vermittlung der Araber nach Europa. Im Mittelalter war es sehr beliebt. Viele Schriftsteller verstanden es als Sinnbild der mittelalterlichen Gesellschaft. In Deutschland nannte man es SCHACHZABEL. Zabel geht auf das römische Wort „Tabula“ zurück und bezeichnet das Spielbrett.

Guillaume le Maréchal: Diesen normannischen Ritter gab es wirklich! Seine Lebensgeschichte kann man nachlesen.

(Buchtipp →  Georges Duby: Guillaume le Maréchal oder der beste aller Ritter)

Text: Uwe Bergmann-Deppisch

Bildnachweis:

01 – 03, 05 + 06: GDKE RLP, Landesmuseum Mainz, Ursula Rudischer

Nr. 04 http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg848/0294