Die Spannung zwischen Licht und Schatten

Die Verwendung von Farben und die Verteilung von Hell- und Dunkelwerten gehört zu den grundlegenden Prinzipien der Malerei. Physikalisch-chemische Fragen spielen dabei ebenso eine Rolle, wie etwa psychologische und ästhetische. Um letztere geht es im Folgenden.

Hinweis: Diesmal müssen wir auf viele Gemälde zurückgreifen, die wir aus rechtlichen Gründen nicht abbilden dürfen. Bitte öffnen Sie deshalb unbedingt die Links, Sie betreten damit sowohl bekannte als auch überraschende Wege zu einst wegweisenden Werken der europäischen Malerei.

Zwei heute berühmte Namen stehen für ein fundamentales Gestaltungsmittel der Malerei

Den 400. Geburtstag  Rembrandts  2006 begingen die Niederlande mit einer Schau der Superlative im Van-Gogh-Museum in Amsterdam: zum ersten Mal wurden die beiden Stars der Barockmalerei, Rembrandt und Caravaggio, in einer gemeinsamen Ausstellung gefeiert.

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Rembrandt hat wahrscheinlich niemals ein Gemälde des eine Generation älteren Italieners gesehen. Aber beide stehen für eine Art der Bildgestaltung, die auf starke Kontraste setzt: Nackte Haut kommt vor dunklen Gründen besonders gut zum Leuchten, die Reflexe von Waffen oder Weingläsern blitzen in nächtlichen Gelagen auf, kleinste Farbakzente wirken innerhalb der verschiedensten Schattierungen von Braun besonders  intensiv. Rembrandt hat zudem Schwarz und Weiß als Farben behandelt – eine stets umstrittene Sache, denn anderen galten sie als Nicht-Farben. Caravaggio wirft scheinwerferartige Lichtkegel in Spelunken und Kerker, was z.B. Filmemacher unserer Zeit nachhaltig inspiriert hat.

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Das Arbeiten mit den Gegensätzen von Licht und Schatten in der Malerei nannten die Künstler der italienischen Renaissance „chiaro-scuro“. Auch für diejenigen Künstler, die dies nicht zu offensichtlich und kontrastreich einsetzten, gehörte es zu unverzichtbaren Parametern bei Konzeption und Umsetzung einer Bildvorstellung.

Die Wiederentdeckung von Rembrandt und Caravaggio ist eine kulturhistorische Leistung der Moderne

Die heutige Begeisterung für die kontrastreiche „Hell-Dunkel-Malerei“ alter Meister ist ein relativ junges Phänomen. Noch im 19. Jahrhundert hielten Kunstkenner die Radierungen Rembrandts für weitaus bedeutender als seine Gemälde. Erst sein 300. Geburtstag 1906 markierte einen ersten Höhepunkt der Akzeptanz seiner Malerei beim Publikum und in den akademischen Kreisen der Kunstwissenschaft. Der Caravaggio, den wir heute kennen, ist sogar ein Kind des 20. Jahrhunderts. In immer neuen Anläufen beschäftigten sich seit etwa 1913 Kunsthistoriker, Händler und Sammler mit seiner Kunst und der seiner Schüler und Nachfolger. Vor 100 Jahren waren ihm nur wenige Werke sicher zuzuschreiben; erst die intensive, teils bis heute kontroverse Diskussion, Archivstudien und genaue restauratorische Untersuchungen der Gemälde  haben es ermöglicht, uns ein „Bild“ von ihm zu machen.
Schon in der Mitte des  17. Jahrhunderts rutschten Caravaggio und Rembrandt quasi in die zweite Reihe. Der Ruhm von Rubens – der Caravaggio sehr schätzte –  erstrahlte in ganz Europa. In Italien hatten die Konkurrenten Caravaggios, die Vettern Carracci, eine Schule begründet, die die nächsten zwei  Jahrhunderte hindurch die Akademien prägen sollten. In Frankreich diskutierte man, ob Rubens oder den eigenen Historienmalern die Palme gebühre. Sowohl für die großen Fresken in Palästen und Kirchen, wie auch für die Leinwandbilder in den Galerien, forderte man Kompositionen mit einem ausgewogenen Verhältnis von Licht und Schatten. Schon aus technischen Gründen wäre ein Fresko à la Rembrandt oder Caravaggio ohnehin nicht ausführbar gewesen. Das „Kolorit“, also der Einsatz der Farben in der Malerei, sollte auf der Leinwand wie auf den Wänden abwechslungsreich sein, Kontraste und besondere Akzente nur dort verwendet werden, wo Motive und Themen der Malerei dies rechtfertigen.
Die mehr und mehr klassizistischen Tendenzen des 18. Jahrhunderts propagierten nach wie vor besonders Annibale Carracci als das Vorbild schlechthin und wandten sich erneut den Meistern der Hochrenaissance zu. Im 19. Jahrhundert wurde der Kreis des Vorbildlichen um die italienische Frührenaissance erweitert. Gleichzeitig nutzten vor allem in Frankreich jüngere Künstler wieder Möglichkeiten des „clair-obscur“, die sie aber aus dem allgemeinen Fundus der Tradition schöpfen konnten.

Ein Beispiel dafür ist „Der Schlaf des Endymion“ von Anne Louis Girodet-Trioson, 1791 © Paris, Louvre 

Die Malerei Caravaggios und seiner Nachfolger galt nach wie vor als reißerisch, als Kunst fürs Volk, das starke Effekte liebt. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts galt nicht Rembrandts Nachwache als das berühmteste Gemälde der Niederlande, sondern der „Junge Stier“ von Paulus Potter.

Für Rembrandts Malerei konnten sich um 1700 immerhin einige nonkonformistische Sammler begeistern, die seine Bilder für meist geringe Summen erwarben, so dass er im Bewusstsein der Kunstfreunde und in fürstlichen Galerien stets präsent blieb. Von Caravaggio nahmen nur einige Reisende Notiz, die in Rom oder Neapel die Kirchen aufsuchten, für die er Aufträge ausgeführt hatte.

Das Herausarbeiten von Licht- und Schattenverhältnissen ist keine barocke Erfindung

Das „Hell-Dunkel“ in der Malerei wird heute so stark mit Caravaggio in Verbindung gebracht, dass manchmal übersehen wird, in welcher Tradition er stand. In seiner heimatlichen Lombardei gab es schon Anfang des 16. Jahrhunderts Künstler, die mit großer Raffinesse nächtliche Szenen auf der Leinwand inszenierten.

Ein Beispiel dafür ist Giovanni Girolamo Savoldo, hier sehen Sie sein Gemälde „Der hl. Matthäus mit dem Engel“, 1530 © Metropolitan Museum, New York

Im benachbarten Veneto bzw. in Venedig selbst riefen um 1500 die Höllenfeuer von Hieronymus Bosch große Bewunderung hervor. 

Und im Venedig des 16. Jahrhunderts war Tintoretto der Meister der Inszenierung von geheimnisvollen Begebenheiten, die sich im flackernden Licht in finsteren Räumen abspielen. 

Der Sonderweg Venedigs

Caravaggios Kunst fand in der Lagune wenig Beachtung. Bis heute ist dort keines seiner Werke zu sehen und die venezianischen Künstler des frühen 17. Jahrhunderts standen entweder noch im Bann der Großmeister Tizian, Veronese und Tintoretto oder suchten andere Wege. Ihr Helldunkel, das die venezianische Malerei bis in das frühe 18. Jahrhundert durchaus prägt, ist weniger vom europäischen Caravaggismus abhängig als von der eigenen künstlerischen Tradition.  Als „tenebrosi“, „die Finsteren“ wurden mehrere Maler bezeichnet, die während des ganzen 17. Jahrhunderts in der Serenissima tätig waren. Auch im benachbarten Bologna gab es mit Giuseppe Maria Crespi seit Ende des 17. Jahrhunderts wieder einen  „tenebroso“, der stark auf jüngere Venezianer einwirkte. Noch der junge Tiepolo und selbst die frühen Veduten von Canaletto arbeiten mit starken Helldunkel-Kontrasten, die sie später zu Gunsten einer lichten, kräftigen und vielfältigen Farbigkeit aufgeben werden.

Ein fast moderner Gedanke: Der Stil folgt dem Thema

Für einen Künstler wie Francesco Migliori könnte dieses Gestaltungsmittel eine Option gewesen sein, die er je nach dem dafür passenden Bildthema einsetzt. Die Caravaggisten hundert Jahre zuvor hatten sich auf die Sujets beschränkt, bei denen das Inszenieren von Licht und Schatten stimmig und überzeugend ist, d.h. in der erzählten Geschichte quasi vorgegeben ist. Ein Maler um 1700 hingegen, dem die Malereigeschichte der vergangenen 200 Jahre in Kirchen und Palästen seiner Heimatstadt in großer Fülle stets gegenwärtig war, entscheidet sich möglicherweise für diejenige Linie der Tradition, die in dem jeweiligen Fall angemessen scheint, und für eine andere bei anderen Werken. Miglioris gesamtes Schaffen kann derzeit nur schwer überschaut werden, obwohl es nicht umfangreich sein dürfte. Die einzigen Gemälde in Deutschland sind, abgesehen von dem in Mainz, zwei mit mythologischen Darstellungen in DresdenAuch hier arbeitet er mit einem sorgfältig modulierten, aber ausgewogenem Verhältnis zwischen Hell und Dunkel; diese Bilder ordnen sich eher in den künstlerischen spätbarocken „Mainstream“ seiner Zeit ein.

Francesco Migliori, Noli me tangere © GDKE, Direktion Landesmuseum Mainz, Foto: Ursula Rudischer

Für das Mainzer „Noli me tangere“ wählt er den anderen Modus, der geeignet ist, das psychologische Moment der Begegnung zwischen Magdalena und Christus zu unterstreichen. Wir können zu dem nahe an die Protagonisten herantreten, die uns dann quasi lebensgroß erscheinen. Auch das Querformat mit Halbfiguren in Interaktion ist eine venezianische Erfindung des 15. Jahrhunderts, das sowohl Caravaggio wie auch die bologneser Maler des 17. Jahrhunderts wieder aufgegriffen hatten.  Ein weiteres Gestaltungsmittel, das sich von den geballten, raumgreifenden Figurengruppen der Dresdner Gemälde Miglioris unterscheidet.

Künstler, die in ihrem Schaffen abwechselnd unterschiedliche Stilhaltungen verwenden, haben es in der Rezeption oft schwer: Publikum und Kritik bevorzugen eine klar erkennbare, individuelle  Handschrift. Entdeckerfreude erhält von den Werken der vielfältigen, wandlungsfähigen Künstlern aber besonders viele Anregungen.

Text: Gernot Frankhäuser